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Menger Karl


Der am 13. Jänner 1902 geborene Mathematiker Karl Menger entstammte einer höchst begabten Familie. Sein Vater war der berühmte Volkswirtschaftler Karl Menger, sein Onkel Anton einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler seiner Zeit, und sein Onkel Max war mehr als dreißig Jahre lang liberaler Reichtstagsabgeordneter. Seine Mutter Hermione (geb. Andermann) war eine bekannte Romanschriftstellerin.

Menger besuchte das Döblinger Gymnasium. Auch hier ließ der Erwartungsdruck nicht nach. Zwei seiner Mitschüler, nämlich Wolfgang Pauli und Richard Kuhn, errangen später den Nobelpreis.

1920 maturierte Karl Menger und inskribierte zunächst Physik an der Universität Wien. Doch nach knapp einem Semester entschied er sich für die Mathematik.
Die Geschichte ist dramatisch: Hans Hahn war soeben aus Bonn nach Wien berufen worden und kündigte ein Seminar über den Begriff der Kurve an.
Um 1890 herum hatten Hilbert und Peano Beispiele von stetigen Abbildungen
des Einheitsintervalls auf das Einheitsquadrat angegeben. Damit war klar geworden, dass die übliche Definition einer Kurve als stetiges Bild eines Intervalls nicht aufrechtzuerhalten war.
Hahn selbst hatte gezeigt, dass jede kompakte, zusammenhängende und lokal zusammenhängende Menge als so ein Bild auftauchen konnte, und namhafte Mathematiker vertraten die Ansicht, dass eine befriedigende und mit der Anschauung verträgliche Definition des Kurvenbegriffes nicht erreichbar sei. Unmittelbar nach Hahns erstem Seminarvortrag entdeckte Menger aber eine Lösung, beruhend auf dem Begriff der eindimensionalen Menge. Natürlich war das nur möglich, wenn auch ein topologisch sinnvoller Dimensionsbegriff zur Verfügung stand. Menger schlug eine rekursive Definition vor, die auch heute noch verwendet wird. (Unabhängig voneinander und von Menger stieß auch Brouwer und Urysohn auf diesen Zugang.)
Unmittelbar nach seiner wichtigen Entdeckung erkrankte der neunzehnjährige Menger an Tuberkulose und musste in ein Sanatorium. Während der drei Semester, die er dort verbrachte, starben sein Vater und seine Mutter.
Aber als er vollkommen geheilt an die Universität zurückkehrte, hatte er seine Kurven und Dimensionstheorie in mehreren Arbeiten weit vorangetrieben.
Er dissertierte damit bei Hahn und fuhr dann mit einem Stipendium
zu L. E. J. Brouwer nach Amsterdam. Bald wurde er Brouwers Assistent und konnte sich auch rasch habilitieren; doch in der Folge verwickelte er sich in einen erbitterten Prioritätsstreit mit Brouwer. Glücklicherweise wurde 1926 an der Wiener Universität das Geometrie­Extraordinariat vakant, weil Kurt Reidemeister nach Königsberg berufen wurde, und so konnte Menger nach Wien zurückkehren, wo er sich alsbald in ein ausgedehntes Programm von Vorlesungen über alle Aspekte der Geometrie stürzte.

Von seiten der Studenten, die Mengers Engagement sehr schätzten, wurde an ihn der Wunsch herangetragen, ein regelmäßig stattfindendes Mathematisches Kolloquium zu, organisieren.
Menger, der seit der Rückkehr auf Anregung Hahns hin Mitglied des philosophischen Wiener Kreises war, stürzte sich mit Feuereifer in diese Aufgabe und brachte jedes Jahr sein Protokollbuch als "Ergebnisse eines Mathematischen Kolloquiums" heraus. Die Mitgliedschaft zu diesen beiden Kreisen dem mathematischen und dem philosophischen sollte seine Tätigkeit im Wien der dreißiger Jahre entscheidend prägen.
Menger hatte enge wissenschaftliche Kontakte zu Hans Hahn und dessen genialen Schüler Kurt Gödel zwei weiteren Mitgliedern des Wiener Kreises sowie zu jungen Topologen wie Witold Hurewicz und Georg Nöbeling, die in Wien studierten.
Sein bekanntester Schüler aber wurde der Rumäne Abraham Wald, der erst relativ spät ernsthaft zu studieren begann (er war im selben Jahr wie Menger geboren, inskribierte jedoch erst, als dieser schon Professor war), aber dann mit großer Intensität und viel Erfolg Mengers Fragestellungen aufgriff und bald promovierte, obwohl er erst drei Vorlesungen gehört hatte.
In Mengers Kolloquium gab es drei Schwerpunkte. Der eine war die mengentheoretische Topologie, wo weiter über Kurvenund Dimensionstheorie gearbeitet wurde Menger schrieb über beide Themen je ein höchst bedeutsames Buch und weitere topologische Begriffe intensiv untersucht wurden, wie zum Beispiel eine Definition von "A liegt zwischen B und C" in metrischen Räumen, eine verbandstheoretische Darstellung von euklidischer und projektiver Geometrie, oder eine Differentialgeometrie in metrischen Räumen, die auf einer raffinierten Definition der Krümmung des Krümmungsradius beruhte. Gewissermaßen als Nebenprodukt erhielt Menger auch einen graphentheoretischen Satz, der heute als der n Beinsatz von Menger die Grundlage für die Theorie zusammenhängender Graphen liefert.
Der zweite Schwerpunkt im Kolloquium war die mathematische Logik:
Hier stammten die meisten Beiträge von Gödel, aber auch Menger schrieb interessante Arbeiten, zum Beispiel über klammerfreie Notation, über ein "Wörterbuch" des Intuitionismus oder über das logische Toleranzprinzip,
das Carnap ganz entscheidend beeinflussen sollte.
Der dritte Schwerpunkt schließlich war die Wirtschaftsmathematik.
Wie bei Mengers Herkunft nicht weiter verwunderlich, hatte er starkes Interesse an der Mathematisierung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Er schrieb einige bedeutende kritische Untersuchungen über Nutzenlehre
und Marginalismus sowie ein kurzes Buch über eine Formalisierung von ethischen Theorien, das Musils Interesse erweckte, vor allem aber regte er seinen Schüler Abraham Wald zu Arbeiten über die Theorie des ökonomischen Gleichgewichts an. Diese wiederum bewirkten, dass auch John von Neumann seine revolutionären Gedanken zu diesem Fragenkomplex in den "Ergebnissen" veröffentlichte.
Die gesamte General Equilibrium Theory", für die Arrow und Debreu später
ihre Nobelpreise bekamen, entstand aus einer Handvoll von Arbeiten den berühmten "Vienna papers", die entscheidend von Menger angeregt und in seinen "Ergebnissen" publiziert wurden.

Menger wurde im Ausland rasch anerkannt. Er nahm mehrmals Einladungen an amerikanische Universitäten an und wurde, erst knapp über Dreißig,
zum Vizepräsidenten des Internationalen Mathematikerkongresses in Oslo gewählt, aber in Österreich blieb ihm ein weiterer beruflicher Aufstieg versagt.
Das Ordinariat von seinem Lehrer Hans Hahn wurde nach dessen Ableben,
im Krisenjahr 1934, vom Bundesministerium eingezogen, und auch bei der Nachfolge Wirtinger wurde Menger nicht berücksichtigt.
So nahm er inzwischen verheiratet und mehrfacher Familienvater eine Gastprofessur an der Notre Dame University in Indiana an. Dort befand er sich auch zum Zeitpunkt des Anschlusses. In einem Telegramm legte er sein Extraordinariat an der Wiener Universität nieder, um so seiner Entlassung aus "rassischen Gründen" zuvorzukommen.
Es gelang ihm, Abraham Wald die Ausreise in die USA zu ermöglichen.
Wald wurde dort in kurzer Zeit zum führenden mathematischen Statistiker.
Doch Menger selbst musste in den USA eine Art Karriereknick erleben.
Während des Krieges wurde er zur Mathematikausbildung von Kadetten herangezogen und konnte nur wenig wissenschaftlich arbeiten.
Nach dem Krieg wurde Karl Menger an das Illinois Institute of Technology in Chicago berufen. Seine wissenschaftlichen Leistungen zeichneten sich weiterhin durch Klarheit, Vielfalt und Originalität aus. So war er der erste, der probabilistische Metriken untersuchte und damit einen Ausgangspunkt für diverse "fuzziness" Theorien schuf.
Auch führte er Untersuchungen von Funktionenalgebren durch, die er als eine "Algebra der Analysis" auffasste. Besonders intensiv befasste er sich mit einer neuartigen Darstellung der Differential und IntegraIrechnung, welche viele der tradierten Bezeichnungsweisen, die Anfänger verwirren, durch transparentere ersetzten. Leider hatten auf diesem Gebiet Mengers Bemühungen (und sein Lehrbuch der Analysis) nur wenig Erfolg, so dass auch heute noch unsere gebräuchliche Terminologie an dem leidet, was Menger als "xitis" anprangerte. Durch den Tod Abraham Walds bei einem Flugzeugunglück kam es auch nicht
zu der geplanten Wiederaufnahme der gemeinsamen Arbeiten zu einer Differentialgeometrie auf metrischen Räumen.

Eine Rückberufung Mengers an die Universität Wien erfolgte nicht.
(Knapp nach Kriegsende schrieb der damalige Dekan, dass Menger
mit seinem Telegramm selbst seine Stelle aufgegeben hatte, so dass er
"nicht im strengen Sinne" unter die Wiedergutmachung fiele.)
Menger kehrte des öfteren nach Europa zurück so verbrachte er das Jahr 1951-52
an der Pariser Sorbonne, doch erst 1963 besuchte er Österreich wieder, und zwar als Gastprofessor am neugegründeten Institut für Höhere Studien.
1971 wählte ihn die Österreichische Akademie der Wissenschaften zum korrespondierenden Mitglied, und 1975 erhielt er wie schon sein Vater
viele Jahre vorher das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
1979 erschien ein höchst lesenswerter Band seiner ausgewählten Schriften.
Während seiner letzten Jahre arbeitete er an einer Darstellung des geistigen Wiens der Zwischenkriegszeit. Als er 1985 starb, hinterließ er ein weit gediehenes Manuskript, das 1994 unter dem Titel "Reminiscences of the Vienna Circle
and the Mathematical Colloquium" erschien.