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Gröbner Wolfgang

Wolfgang Gröbner wurde am 11. Februar 1899 in Gossensaß an der Südtiroler Seite des Brennerpasses geboren und wuchs dort mit vier Geschwistern auf. Nachhaltige Auswirkungen auf sein späteres Leben hatte das Jesuiteninternat in Feldkich.
1917 musste er an die italienische Front und nach Kriegsende begann er ein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule in Graz. Gegen Ende dieses Studiums kam es zu einer dramatischen Wende in Gröbners Weltanschauung. Einer seiner Brüder verunglückte an einem Sonntagnachmittag mit dem Motorrad tödlich, ohne am Vormittag einen Gottesdienst besucht zu haben.


Die drohende ewige Verdammnis für seinen geliebten Bruder stürzte den Stella-Matutina – Absolventen in eine schwere seelische Krise.
Es kam zum Abbruch des Technikstudiums und zum Bruch mit der katholischen Kirche. Sein faustisches Suchen nach einer Religiosität ohne Zwänge beschreibt er ein Jahrzehnt später in seinem ersten Buch Der Weg aufwärts, in Neujahrsthesen und seinen Seminaren über Grenzprobleme, die ihn in ernsthafte Schwierigkeiten
mit der Innsbrucker Theologischen Fakultät brachten.

Gröbner begann 1929 nach seiner Verehelichung mit dem Mathematikstudium
an der Universität Wien, weil „die wahrhaft königliche Wissenschaft sei,
die einzig und ausschließlich auf eigene Ansicht gegründet ist, die konsequent
jede fremde Autorität außerhalb des eigenen Verstandes ablehnt und niemals
etwas deshalb zu glauben vorschreibt, weil es irgendwer irgendwo irgendeinmal gesagt habe….." (Österr. Hochschulzeitung 1958).
Gröbners beiendruckendste Lehrer waren W. Wirtinger und Ph. Furtwängler.
Aber auch Gröbner macht Eindruck: Wirtinger hebt in seiner Arbeit eine Determinantenidentität und ihre Anwendungen einen wichtigen Beitrag von Gröbner im Seminar 1933/34 hervor. Gröbners Dissertation bei Furtwängler im Jahre 1932 trägt den Titel Ein Beitrag zum Problem der Minimalbasen und erscheint in den Monatsheften [133] (zuvor 1932 schon kurz angezeigt [142]).

Auf Empfehlung Furtwänglers ging Gröbner nach der Promotion nach Göttingen,
um die Vorlesungen von Emmy Noether zu hören. Bereits zu Weihnachten konnte er in einem Brief aus Gossensaß der „sehr verehrten Frau Professor" die Lösung
einer Problemstellung über irreduzible Ideale skizzieren, die dann zu der meiner Meinung nach bedeutensten Arbeit Gröbners führte "Über irreduzible Ideale in kommutativen Ringen".
Gröbner entschuldigt sich auch gleich bei Noether, dass er im Jänner 1933 hauptsächlich aus materiellen Gründen wieder nach Österreich zurück möchte.
Er konnte aber keine Stelle an einer Universität bekommen und wirkte bis 1936
als Privatgelehrter, der unter anderem Kraftwerke baute, in Gossensaß,
wo er im Herbst im väterlichen Hotel zufällig mit Prof. M. Picone zusammentraf,
der dort seine Ferien verbrachte.
Dies führte schließlich zu einer Anstellung in dessen Institut für angewandte Mathematik in Rom. Da er als Südtiroler für Deutschland optierte, musste er 1939 Rom wieder verlassen und wurde nach einer kurzfristigen Tätigkeit bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Redaktion
der Fortschritte der Mathematik in Berlin als Äquivalent zu seiner römischen Position als "Ordentlicher Konsulent" am 31. 10. 1941 zum Extraordinarius an der Universität in Wien ernannt. Allerdings musste er kurz darauf zu Wehrdienst einrücken,
wurde aber am 19. 6. 1942 UK – gestellt und mit dem Aufbau eines Luftwaffeninstituts zur Anwendung höherer mathematischer Methoden auf Probleme der Luftfahrttechnik unter Mitwirkung des Freiburger Mathematikers G. Doetsch
mit vorläufigem Sitz in Braunschweig betraut.
Die von Gröbner geleitete Arbeitsgruppe Industriemathematik erstellte Integraltafeln aber auch einen Vergleich der zu erwartenden Trefferwahrscheinlichkeit von MG
und Schrapnellrakete im Luftkampf. Prof. Edmund Hlawka erinnert sich an einen Besuch in Braunschweig: „ Das Essen an dieser Anstalt war selbst für die damaligen Verhältnisse entsetzlich, aber die Unterhaltung mit Gröbner und seinen Kollegen,
so mit Prof. Peschl, ist mir in lebhafter und schöner Erinnerung".

1945 kann sich Gröbner rechtzeitig zu seiner Familie nach Tirol absetzen,
kann aber nach Kriegsende nicht gleich nach Wien.
Nach Ausscheiden der beiden ordentlichen Professoren des Fachs
( Huber, Mayerhofer) besitzt die Fakultät nur mehr die beiden Extraordinariate, derzeit eingenommen durch Dr. Wolfgang Gröbner und Dr. Nikolaus Hofreiter.
Auch diese beiden standen der Fakultät während des Sommersemesters 1945
und des Wintersemesters 1945/46 nicht zur Verfügung, da Prof. Gröbner
sich noch immer jenseits der Demarkationslinie in Tirol aufhält.
Der Dekan hat Prof. Gröbner, der nicht Angehöriger der NSDAP ist, beauftragt
mit Beginn des Sommersemesters 1946 sein Lehramt anzutreten; "ob es möglich sein wird, rechtzeitig einzutreffen, ist fraglich".
Gröbner traf dann doch in Wien ein, nahm aber 1947 "zu unser aller großem Bedauern" (E. Hlawka) ein Ordinariat in Innsbruck an. Es war dies eine Art Personalrochade, da Johann Radon, den es zu Kriegsende unter Mithilfe
von Leopold Vietoris nach Innsbruck verschlagen hatte, am 24. 1. 1947
zum Ordinarius in Wien ernannt wurde.
Im Gegensatz stand im Innsbrucker Besetzungsvorschlag Wolfgang Gröbner
primo loco: Gröbner gilt als guter Lehrer und ist politisch unbelastet.
Ganz frei vom Geist der damaligen Zeit war aber er auch nicht gewesen,
wie aus einem Brief vom 5. 9. 1944 an G. Doetsch hervorgeht:
Der Schrecken über die jüngste unglückliche Entwicklung der Kriegslage in Frankreich ist mir ordentlich in die Glieder gefahren. Ich hoffe, dass es trotz allem gelingen wird, das Schicksal zu bezwingen und unser Vaterland zu retten.
Ich bleibe selbstverständlich mit allen Kräften auf meinem mir zugewiesenen Posten, bin aber sofort zu einem anderen Einsatz bereit, falls dies verlangt werden sollte.
Ein Weiterleben über eine etwaige Niederlage hinaus würde mir absolut wertlos erscheinen". Dabei hatte er noch 1935 geschrieben: "Die Seele ist autonom,
keine äußere Macht kann ihr gebieten" Wolfgang Gröbner lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1970 verdienstvoll in Innsbruck.
Prof. Heinrich Reitberger berichtet: „"In den Jahren danach trafen wir uns jeden Mittwoch zu einem Arbeitsessen bis wir schließlich in seinem letzten Stammlokal, einem renommierten Hotel in der Nähe seiner Wohnung, Lokalverbot bekamen. Gröbner hatte nämlich seit einem Magendurchbruch nur mehr einen Teil seines Magens, was er durch ein Glas Rotwein auszugleichen versuchte.
Falls es aber mehr wurde, konnte er recht aufbrausend werden und dazu kam seine Schwerhörigkeit und ich konnte das Hotelpersonal fast verstehen.
Dennoch: Der Prophet gilt oft nichts im eigenen Land!
Ein Schlaganfall zwang Gröbner dann 1980 ins Krankenbett, wo er sich in großer Würde und Güte von den Seinen verabschiedete; eine seiner Töchter war ihm bereits vorausgegangen. Wolfgang Gröbner verstarb am 20. August 1980.
Sein Grab befindet sich heute am Innsbrucker Westfriedhof.

*) zusammengestellt nach HEINRICH REITBERGER,
Institut für Mathematik der Universität Innsbruck;
Wolfgang Gröbner (11.2.1899 20.08.1980) zum 20. Todestag



MATHEMATISCHE LEISTUNGEN
*)
1 Irreduzible Ideale – Gröbner-Dualität: Nach seiner Promotion (Dissertation bei Furtwängler) im Jahre 1932 untersucht Gröbner auf Anregung von Emmy Noether irreduzible Ideale in kommutativen Ringen: a = b c mit a Ì b und a Ì c
nennt man reduzibel; ist dies nicht möglich, so heißt das Ideal a irreduzibel.
Die von Gröbner entwickelte Dualitätstheorie irreduzibler Ideale mündet ebenso wie die Pontrjaginsche und die Grothendiecksche in die Matlis-Dualität.
W. Krull
hat den Wert der Gröbner-schen Arbeit sofort erkannt und sie in seinem Enzyklopädieartikel über die Theorie der Polynomideale und Eliminationstheorie ausführlich referiert.
2 Struktur der Primärideale – Gröbner-Korrespondenz: Ein zentrales Anliegen Gröbners war es, die Struktur von Primäridealen durch Differentialbedingungen zu charakterisieren. Zugrunde liegt die einfache Idee, die Vielfachheit einer Nullstelle eines Polynoms in einer Variablen durch die Ableitung auszudrücken: x0 Nullst.Vielfachh. k von f Û f(x0) = f ’(x0) = …. = f(k-1)(x0) = 0, f(k)(x0) ≠ 0 Begonnen hatte er damit in der zweiten Annalenarbeit mit Primidealen – dort wird mit der Primbasis übrigens auch ein Beispiel einer Gröbnerbasis (siehe 6) untersucht - das Problem für Primideale formuliert und zum Teil gelöst. Für diesen Fall führten M.G. Marinari, H.M. Möller und T. Mora 1966 die Bezeichnung Gröbner duality ein.
3 Multiplizität – Syzygien: Schon beim Hauptsatz der Algebra muß man die Null-stellen mit ihrer Multiplizität zählen, um über C für ein Polynom n-ten Grades n Nullstellen zu erhalten. Der Schnitt höherdimensionaler Varietäten erfordert, um die richtige Anzahl an Schnittpunkten zu erzwingen, entweder eine dynamische Vor-gangsweise (wie etwa in der Topologie: Man verwackelt die Situation ein wenig) oder eine mehr statische Betrachtung: Man legt die Multiplizität eines Primärideals (durch Macalay’s Länge) ein für alle mal fest und verzichtet auf die Allgemeingültigkeit des sog. Bezoutschen Satzes. Die anfangs umkämpfte Entwicklung des Gröbnerschen statischen Standpunkts in Zusammenarbeit mit den Hallenser Algebraikern unter Führung des leider allzu früh verstorbenen Wolfgang Vogel hat zuletzt H. Flenner vorbildlich dargestellt. 1
4 Differentialgleichungen und Lie-Reihen: In einem Brief vom 4. 3. 1943 von Gröbner an Doetsch kündigt sich ein weiterer Forschungsschwerpunkt an: "Als eine der dringendsten Aufgaben für die theoretische Forschung würde ich die ansehen, systematisch die Untersuchung der nichtlinearen Differentialgleichungen aufzuneh-men. Beinahe alle Probleme, wo man sich nicht mehr mit den allerersten Annährun-gen begnügen darf, führen auf nichtlineare Dgln. und hier liegt fast noch gar nichts an theoretischer Forschung vor". Ab dem Jahr 1958 begann Gröbner sich damit systematisch auseinanderzusetzen! Er knüpfte bei der Darstellung der Lösung einer Anfangswertaufgabe für ein System gewöhnlicher Dgln. (*) x’ = f(x), x(t0) = x0 bei Sophus Lie an. Wesentliches Ergebnis ist eine Störungsformel.
5 Orthogonale Polynome – Mathematik für Physiker: Seit der Zeit bei Picone in Rom faszinierte Gröbner die Konstruktion orthogonaler Polynomsysteme mit Hilfe eines Extramalprinzips. P. Lesky hat dies fortgeführt und erweitert. Erwähnenswert 2 ist, dass er jüngst die Dissertation, die G. Sonderegger unter Gröbners Anleitung 1965 ausgearbeitet hat, aufgegriffen hat und mit dem nun seit über 35 Jahren an einem Vorarlberger Gymnasium tätigen Kollegen eine gemeinsame Arbeit verfasst hat. Nicht vergessen sollte man Gröbners Bücher Mathematische Methoden der Physik, Differentialgleichungen und Matrizenrechnung, die Klassiker der Lehrbuch-literatur waren.
6 Gröbner-Basen und Gröbner-Deformationen: Wenn man im MathSciNet unter Anywhere nach Gröbner sucht, erhält man derzeit gegen 1000 Einträge - mehr als 90% davon betreffen Gröbner-Basen. Es ist dies ein Denkmal, das Bruno Buchberger mit dieser Bezeichnung seinem Lehrer setzte: Im Sommersemester 1964 begann Gröbner in seinem Dissertantenseminar über Dimensionstheorie der Polynomideale mit nulldimensionalen Polynomidealen a ein Verfahren zu beschreiben, das eine Basis der polynomalgebra K[x]/a liefert. Aus der Multiplikationstafel lässt sich auch ein bemerkenswertes neues Erzeugendensystem für das Ideal a rückgewinnen. Gröbner regte Buchberger an, daraus einen Algorithmus zu destillieren und dies auf der ZUSE 23 zu implementieren.